Naturwunder Ränggloch - Ein Kind der Eiszeit
Beat Keller, Keller und Lorenz AG, Luzern
Das spektakuläre Ränggloch ist keine gewöhnliche Schlucht, sonder eine sogenannte "Schlitzschlucht": Mit einer Tiefe von 40 m ist der enge Einschnitt im harten Sandsteinfelsen oben 7 m breit, zuunterst gerade noch 1.8 m. Im Süden wird der Schlitz im Felsen abgeschlossen durch eine vertikale Steilstufe mit einem 16 m hohen Wasserfall.
Die Entstehung dieser einzigartigen Schlucht ist sagenumwoben - glaubte man doch bis in die jüngste Zeit, sie sei von Menschenhand geschaffen worden, da der Ränggbach doch nicht einfach über die Felsbarriere des Sonnenbergs "klettern" und die Schlucht einsägen konnte. Dieser Mythos rührt wohl daher, dass man vom Mittelalter bis in die Neuzeit erfolglos versuchte, die Schlucht zu erweitern, um den Ränggbach, der über Jahrhunderte zusammen mit dem Krienbach bis Luzern verheerende Überschwemmungen verursacht hatte, sicher gegen Norden hin abzuleiten. Schlussendlich wurden lediglich 1'300 m3 ausgebrochen, wovon die rechteckigen Ausbrüche am linken Ufer des Schluchteingangs heute noch zeugen. Diese Bemühungen scheiterten am harten Sandsteinfelsen, dem die einfachen Werkzeuge des Schmids von Göschenen oder das später eingesetzte Schwarzpulver nicht gewachsen waren.
Tatsächlich ist das Ränggloch ein Kind der Eiszeit, die vor 26'500 bis 19'000 Jahren ihr letztes Maximum erreichte. Mit beginnender Erwärmung vor 16'800 Jahren und dem Zerfall der riesigen eiszeitlichen Gletscher im Raum Luzern produzierte das abschmelzende Gletschereis in den Sommermonaten - vergleichbar mit dem heutigen Hochgebirge - gewaltige Mengen an Schmwelzwasser, das sich am Grund des Reussgletschers seinen Weg zu den Gletschertoren im Mittelland suchte. Die prominente Hügelkette vom Blatter- über den Sonnen- bis hin zum Rooterberg aus hartem sandstein stellte sich dem eiszeitlichen Schmelzwasserabfluss quer im Weg. Das sedimentbeladene Schmelzwasser strömte unter dem Reussgletscher in zwei Tunneltälern diesem Querriegel zu, wo es in den Schwächezonen des Reussdurchbruchs und dem Ränggloch enge Schluchten in den Felsuntergrund fräste. Bei einer Eismächtigkeit von 300 bis 400 m stand das Schmelzwasser unter enormem Druck von bis über 30 Bar. Im Engpass des Rängglochs fräste das hier mit hoher Geschwindigkeit durchschiessende Schmelzwasser - einem Sandstrahlgebläse gleich - innert weniger Tausend Jahre den tiefen Schlitz ins Felsenbett.
Vom eiszeitlichen Geschehen im subglazialen Schmelzwasserfluss zeugt eingangs der Schlucht im Bachgerinne auch heute noch ein Gletschertopf von rund 3 m Tiefe. Wie Strudelkolke im Gletschergarten entstand auch er durch Wirbelbildung im reissenden Schmelzwasserstrom im Tunneltal unter dem Reussgletscher, vermutlich innert weniger Jahre.
In den harten Sandstein des Ränggloch sind aber auch versteinerte Zeugen erhalten geblieben, die vor 20 Millionen Jahre im damaligen Paratethysmeer ebgelagert worden sind: So sehen wir in der kleinen Felswand - stromabwärts gesehen rechts der Schlucht - schöne Fächer von Rippelmarken. Diese haben sich im bewegten Sand von Watt-Prielen des Wattenmeeres gebildet, dessen Südküste um Luzern vergleichbar mit dem heutigen Watt der Nordsee ist. Weiter bachaufwärts erkennt der geübte Beobachter sogar versteinerte Muscheln, die in den Prielrinnen zusammengespült worden waren.
Durch die spektaktulären erdgeschichtlichen Zeugen hat das Ränggloch als Geoobjekt eine grosse Bedeutung!
Literatur, Quellen, Fotos
- Text: Beat Keller, Keller und Lorenz AG, Luzern
- Fotos: Hardy Konzelmann, Obernau